Meinung: Durch M&A zur resilienten Versorgung in Deutschland

Die Covid-19 Pandemie und der Krieg in der Ukraine demonstrierten die Risiken der globalen Interdependenz Wirtschaftssystems. In einer Weltordnung, die durch eine kontinuierlich fortschreitende Integration von Versorgungssystemen geprägt ist, müssen Unternehmer auch politische, wirtschaftliche sowie gesundheitliche Entwicklungen außerhalb der eigenen Landesgrenzen berücksichtigen. Vor allem die hochinternationalisierte deutsche Wirtschaft wird in den kommenden Jahren vor schweren Entscheidungen über die Unabhängigkeit in strategisch wichtigen Sektoren stehen. Obwohl der deutsche Exportanteil in Prozent des BIP bei fast 50% liegt und jeder vierte Arbeitsplatz vom Welthandel abhängig ist, wurde in Deutschland bisher wenig Fokus auf die Absicherung der Versorgungsketten durch Diversifizierung gelegt. Um die deutsche Wirtschaft von exogenen Schocks abzusichern, wird sich dies nun im Angesicht erhöhter globaler Volatilität ändern müssen.

Im Verlauf der Corona-Krise standen nahezu alle Lieferketten unter Druck. Dies war nicht nur die Konsequenz von Logistikproblemen, bedingt durch Grenzschließungen und einen starken Rückgang im Luftfrachtsegment, sondern auch von Exportbeschränkungen vieler Staaten, vor allem im medizinischen Bereich. Neben Medikamenten und Beatmungssystemen wurde auch die Fragilität des sogenannten “High-Tech” Sektors deutlich. Die Automobilbranche sowie viele weitere der größten Industrien Europas, und im Besonderen Deutschlands, sind von im Ausland produzierten Zulieferungen abhängig. Bereits kürzeste Zeit nach Ausbruch der Pandemie kam es in Deutschland zu Lieferengpässen von Vorprodukten, welche über 30 % der Unternehmer betrafen und teilweise immer noch betreffen. Dementsprechend müssen sich deutsche Unternehmen nicht nur vermehrt auf die Diversifizierung der Versorgungsketten fokussieren, sondern auch komplementär ein intelligentes Versorgungssystem aufbauen, um Kapazitäten und Bestände flexibel an die aktuelle Wirtschaftslage und Nachfrage anpassen zu können. Durch eine proaktive M&A Strategie können Logistik- und Speditionsunternehmen Synergien zwischen der herkömmlichen Lieferkettenverwaltung und modernen Informationstechnologien schaffen, um die Implementation von Logistik 4.0 in Deutschland zu gewährleisten und damit die Resilienz des Versorgungssystems zu stärken. 

Aus den jüngsten Erfahrungen während, sowie der zunehmenden geopolitischen und wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen China und den Vereinigten Staaten, wurde in Deutschland der Deutsche Aufbau- und Resilienzplan (DARP) 2021 verabschiedet. Dieser Plan zielt neben der Stärkung der Widerstandsfähigkeit kritischer Wertschöpfungsketten in der EU stark auf die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft ab. Firmen wie Intel und TSMC haben bereits, mithilfe von Zuschüssen, die ersten Investitionspläne für die Manufaktur und Entwicklung von Halbleitern in Deutschland und Europa insgesamt, bestätigt. Diese Investitionen werden zur Absicherung der Versorgung kritischer Komponenten benötigt. Neben multinationalen Unternehmen müssen auch KMUs ihre Abhängigkeit von Komponenten aus Ländern außerhalb Europas bedenken. Erreichen können sie dies durch Förderungen sowie strategische Erweiterungen . Vor allem grenzüberschreitende M&A Aktivitäten haben hier das Potenzial, den höchsten Mehrwert für das akquirierende Unternehmen zu schaffen, da diese von Preisunterschieden sowie von besonderem Know-How  über Ländergrenzen hinweg profitieren können. Unternehmen können durch den möglichen Einsatz von international tätigen M&A Plattformen ihre Reichweite erhöhen und damit effizient grenzüberschreitende Möglichkeiten sichten.

Neben dem ICT-Sektor unterliegt auch das Medizinsegment einem großen Wandel. Das Europäische Incentive Programm für Forschung und Innovation unterstützt die Entwicklung einer resilienten medizinischen Wertschöpfungskette, um die Versorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten zu gewährleisten. Des Weiteren soll dadurch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren gefördert werden. Unternehmen in Deutschland und der gesamten EU können durch Zuschüsse ihre Forschung und Produktion weiter ausbauen. Das europäische Pharma und MedTech M&A Segment war bereits vor der Bekanntmachung der Förderungen auf Höhenflug und dieser Trend wird sich durch die Investition von europäischem Kapital weiterhin verstärken. Davon können Vorreiter in den Branchen profitieren; ebenso werden  KMUs angeregt, ihre Wachstumsziele überstrategische Zukäufen zu erreichen. 

Auch die Automatisierung des Industriesektors ist ein wichtiger Bestand des Resilienztrends . Durch die Zusammenführung von Robotik und künstlicher Intelligenz (AI) kann die Effizienz und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriesektors weiterhin gesteigert werden. Dies ist von besonderer Wichtigkeit, um mit internationalen Produzenten mitzuhalten, die von niedrigeren Arbeitnehmer- und Produktionskosten profitieren. Nicht nur Konzerne, sondern auch KMUs setzen vermehrt auf Automatisierung, um weiterhin von Europa aus mit dem Rest der Welt zu konkurrieren. Laut einer Studie der Europäischen Kommission hat die Automatisierung der Industrie das Potenzial, die jährliche Wirtschaftswachstumsrate bis 2035 um die Hälfte zu steigern. Um Teil dieses Wachstums zu sein, müssen Unternehmer vermehrt auf strategische Erweiterungen im Automatisierungssegment setzen.

Demgegenüber steht die Gefahr einer zunehmenden Deglobalisierung des internationalen Versorgungssystems, die langfristig negative Auswirkungen auf internationale Beziehungen sowie das globale Wirtschaftswachstum haben kann. Vor allem die vermehrten Aufrufe von Politikern zum Rückzug aus dem internationalen Wirtschaftssystem mit der Begründung des Schutzes der nationalen Unabhängigkeit ist besorgniserregend. Natürlich ist die strategische Unabhängigkeit Europas ein wichtiger Aspekt in der heutigen Weltordnung, doch Protektionismus ist nicht dasselbe wie Krisenvorsorge.

 

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